Wer dem Glauben nicht glaubt
Der Geflüchtete Mohammad Jaffari soll nach sechs Jahren in Deutschland abgeschoben werden. Als konvertierter Christ und politischer Rapper droht ihm im Iran der Tod. Zusammen mit seinen Freund:innen mobilisiert er über Instagram unter #momobleibt mehr als 10.000 Menschen, die seine Abschiebung verhindern wollen – darunter auch deutsche Rapgrößen wie Kool Savas.
Wieder einmal muss er seine Existenzberechtigung in fremde Hände legen. Dieses Mal sind es über 10.000 Menschen, von denen Mohammad Jaffaris Leben abhängt. Menschen, die er nicht kennt, wollen seine anstehende Abschiebung in den Iran stoppen. Sie wollen ihn vor Verfolgung, Folter und der Todesstrafe retten.
Die Sonne ist unverhofft warm, für den letzten Mittwoch im März. Für den 29-jährigen Jaffari warm genug für schwarze breite Shorts und ein schwarzes T-Shirt. Vor dem Büro der Rapfugees im Grindelviertel Hamburgs stellt er einen Holzstuhl auf den Bürgersteig. Er beharrt darauf, dass man darauf Platz nimmt, und setzt sich selbst auf eine Treppenstufe.
„Ich bin Momo, sechs Jahre alt, und komme aus meiner Mum“, stellt er sich vor. Er sieht seine Ankunft in Deutschland vor sechs Jahren als seine Neugeburt an. In seiner alten Heimat, erzählt er, habe er die Liebe Jesu gesehen und zum Christentum gefunden. Eine Straftat, die im Iran mit der Todesstrafe enden kann.
Der deutsche Staat will ihn dennoch abschieben. Wird er seine Flucht überleben?
Die Rapfuguees sind ein Hamburger Hip-Hop-Kollektiv mit zwölf Mitgliedern. Jaffari ist einer von ihnen. Seine Mitstreiter*innen organisierten die Petition „#momobleibt - menschenrechtswidrige Abschiebung stoppen“. Mittlerweile sind 10.000 Unterschriften zusammengekommen. Bekannte Rapper*innen wie Kool Savas, Sookee und Yassin teilen den Hashtag #momobleibt auf Instagram, Hunderttausende Follower*innen sehen seine Geschichte.
Jaffari selbst hätte nie geglaubt, dass sein Schicksal so hohe Wellen schlägt, sagt er. Selbst 3.000 Euro für die Anwaltskosten sind zusammengekommen.
Jaffari unterbricht sich, wenn Menschen vorbeigehen, entgegnet ihnen ein „Moin!“. Kennt er sie? „Nein, aber wir müssen mehr aufeinander Acht geben.“ Einige grüßen verdutzt zurück. Er sei glücklich, trotz drohender Abschiebung. Sie lähmt ihn nicht. Er sei immer hingefallen und wieder aufgestanden. Stabil fühle er sich, stark. „Und ich weiß, wenn man versucht, etwas Gutes zu tun, dann werden immer wieder irgendwelche Steine auf den Weg geworfen.“
Den ersten Stein bekommt er, als er in seiner Heimat Iran Christ werden will. Das iranische Regime verfolgt christliche Konvertiten; der Abfall vom islamischen Glauben wird mit dem Tode bestraft. „Islam hatte mit mir nichts zu tun. Das war nichts für mich. Ich wollte Jesus folgen. Warum? Wegen der Liebe. Im Islam hab ich leider keine Liebe gefunden. Da gibt’s nur Müssen.“ Jaffari besorgte sich eine Bibel, ging in Kirchen, um über Gott und Jesus zu sprechen, erzählt er auf der Hamburger Treppenstufe.
Nach dem Besuch einer Hauskirche im iranischen Karaj, überfielen ihn vier, fünf Männer. Jaffari ist sich sicher, dass der Angriff mit seinem Glauben zusammenhängt. Einer stach mit dem Messer auf ihn ein, erzählte er. In der Notaufnahme sei er fast eine Minute klinisch tot gewesen. Er zieht sein Shirt hoch und die Haut über der rechten Rippe zurecht. Eine dunkle Narbe, so groß wie ein Eurostück.
Den zweiten Stein bekommt er in Deutschland vor die Füße geworfen. Nach seiner Flucht aus dem Iran, so Jaffari, stellte er einen Asylantrag. Etwa einen Monat später kam der Ablehnungsbescheid. Darin heißt es: Der angebliche Messerangriffs sei in der Anhörung zu oberflächlich erzählt und hätte potenziell nichts mit seinem Glauben zu tun. In der Begründung des negativen Bescheids lautet es, dass sein Glaubenswechsel zu detailarm und damit nicht überzeugend erscheine. Weiterhin heißt es, dass er sich nicht vertieft mit der Bibel befasst habe: „Denn sonst wüsste er, dass eine Bibel kein normales Buch ist, das man von Anfang bis Ende durchliest.“
Im Iran foltern sie einen physisch, sagt Jaffari. In Deutschland wiederum – er tippt sich an die Schläfe: „Psychisch.“
Halt und Heilung findet er bei seiner Familie, den Rapfugees, sagt er.
Seine Texte schreibt er schon lange nicht mehr auf Farsi, sondern auf Deutsch. Die Notizen auf seinem Handy werden lebendig, als er sie aus dem Stegreif rappt:
„Im Gericht fragt die Richterin, ob ich Christ bin / Doch fragte nicht, wie es mir nach dem Messerstich ging / Wie kann man‘s beweisen, dass man Jude oder Christ ist / Welchen Antrag soll ich stellen, denn ich tu‘s sogar schriftlich.“
„Es stresst mich sehr.“ Jaffari dreht den Kopf zur Seite und zeigt auf die Stelle über seinen Ohren. „Ich hab teilweise echt viele graue Haare bekommen.“ Auf den Bildern von seiner Flucht, die er auf dem Handy hat, sind seine Haare tiefschwarz. In Griechenland trägt er sie kinnlang und offen. In Serbien zusammengebunden. In Deutschland angekommen: Keine Arbeitserlaubnis, keine Aufenthaltsgenehmigung.
Was ihm in Deutschland zusteht ist die freiwillige Ausreise. Ein Bescheid mit dem Betreff „Ihre Aufenthaltsangelegenheit“. Die Ausländerbehörde setzte ihm eine Frist bis zum 17. März. Ein Aufenthalt mit Ablaufdatum, an dem er nun selbst ungültig geworden ist, wie Jaffari es nennt. Er kann jetzt jederzeit in Abschiebehaft kommen. 10.000 Menschen wollen das verhindern. Die Mobilisierung gegen Momos Abschiebung läuft.
Dieser Text entstand im Rahmen der Bewerbungsreportage für die Henri-Nannen-Schule.